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Interview"Uns darf keine Fachkraft verloren gehen" - Ein Interview mit Minister Sven Schulze und Ministerin Petra Grimm-Benne.

Der Fachkräftemangel beschäftigt im Land Sachsen-Anhalt nicht nur die Unternehmen des Handwerks, sondern alle Bereiche der Wirtschaft. Die demografische Struktur der neuen Bundesländer zeigt, dass eine Gewinnung von benötigten Fachkräften und Auszubildenden aus der eigenen Bevölkerung rechnerisch nicht möglich ist. Auch die Landespolitik beschäftigt sich mit diesem Thema und hat jetzt ein Konzept zu Gewinnung und Bindung ausländischer Mitarbeitender vorgelegt. Die "Deutsche Handwerks Zeitung" (Halle/Saale) und "Handwerk in Sachsen-Anhalt" (Magdeburg) haben dazu die Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung, Petra Grimm-Benne (SPD), und den Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten, Sven Schulze (CDU), des Landes Sachsen-Anhalt interviewt.

Ein neues Projekt im Land Sachsen-Anhalt trägt den Titel "Willkommen in Sachsen-Anhalt – Fachkräfteintegration kooperativ gestalten". Welches Ziel möchten Sie damit erreichen?

Schulze: Der Fachkräftebedarf in Sachsen-Anhalt ist in nahezu allen Branchen bereits jetzt hoch. Und er wird noch ansteigen, denn in den kommenden fünf Jahren gehen noch mehr Beschäftigte in Rente. Das ist für uns eine gewaltige Herausforderung.

Ich bin sehr viel im Land unterwegs und nutze bei meinen Terminen gern die Gelegenheit, mich zur aktuellen Lage mit Unternehmerinnen und Unternehmern vor Ort auszutauschen. Es macht kaum einen Unterschied, ob Handwerksbetrieb, Dienstleister, Agrar- oder Industrieunternehmen: Immer sind es die Sorgen, Nöte und anstehenden Herausforderungen rund um die Gewinnung von angehenden oder bereits ausgebildeten Fachkräften, die dabei auf den Tisch kommen. Deshalb brauchen wir eine gezielte Zuwanderung auf den Arbeitsmarkt. Allein werden wir die Lücke nicht schließen können. Wir wollen sowohl junge Menschen für eine Ausbildung in Sachsen-Anhalt begeistern, als auch fertig ausgebildete Fachkräfte für eine Beschäftigung hierzulande gewinnen. Davon wird auch das Handwerk profitieren. Wir werden genau hinschauen, welcher Bedarf in welchen Berufen und Branchen besteht.

Wir wollen sowohl junge Menschen für eine Ausbildung in Sachsen-Anhalt begeistern, als auch fertig ausgebildete Fachkräfte für eine Beschäftigung hierzulande gewinnen. Davon wird auch das Handwerk profitieren. 
Sven Schulze

Ein Ansatz ist, sich auf dieser Basis ein bis drei Zielländer auszusuchen, in denen eine Imagekampagne und die Anwerbung von Beschäftigten erfolgversprechend sind. Ich denke da beispielsweise an die Westbalkanländer oder Vietnam. Hinzu kommt, dass wir diejenigen, die zu uns kommen, bei ihrem Integrationsprozess nicht alleine lassen dürfen. Sie sollen dabei von verschiedensten Institutionen und Einrichtungen unterstützt werden. Es muss ganz klar sein, wer an welcher Stelle im Prozess der Integration ins Spiel kommt, um zu helfen.

Eine wichtige Rolle soll das WelcomeCenter Sachsen-Anhalt spielen. Welche Aufgaben wird es haben?

Grimm-Benne: Das landesweite WelcomeCenter ist die zentrale Informations- und Beratungsstruktur in Sachsen-Anhalt. Über die Internetadresse www.welcomecenter-sachsen-anhalt.de/ oder telefonisch unter +49 391 400 669 15 können sich sowohl Unternehmen als auch Interessierte, Fachkräfte und Familien, die nach Sachsen-Anhalt ziehen möchten, über alle zentralen Fragen der Einreise und des Zuzugs nach Sachsen-Anhalt beraten lassen. Fachkräfte oder Familien, die aus dem In- oder Ausland zu uns kommen möchten, finden Informationen und Tipps zu Fragen der Arbeitsplatzsuche, aber auch zur Wohnungssuche, zur Freizeitgestaltung oder zur Kinderbetreuung.

Um möglichst gut in die Regionen hineinwirken zu können, arbeitet das WelcomeCenter an fünf regionalen Standorten: Magdeburg, Halle, Dessau-Roßlau, Halberstadt und in Stendal. Unser WelcomeCenter arbeitet sehr eng abgestimmt mit allen wichtigen Akteuren im Bereich der Arbeitsmarktzuwanderung und Arbeitsmarktintegration zusammen – wie zum Beispiel mit dem für Fragen der beruflichen Anerkennung wichtigen "Netzwerk Integration durch Qualifizierung", mit den Industrie- und Handelskammern und den Handwerkskammern, aber auch mit den Agenturen für Arbeit in Sachsen-Anhalt.

Gemeinsames Ziel  ist es, die Unternehmen und die Zugewanderten möglichst gut durch das Dickicht der Bürokratie und aller lebenspraktischen Fragen zu geleiten. Angesichts des sehr großen Fachkräftebedarfes in unserem Land darf uns keine Fachkraft – egal ob sie nun aus einem benachbarten Bundesland, aus der EU oder aus einem Drittstaat zu uns kommt – verloren gehen!

Für die kleinen und mittleren Betriebe sind gerade die vielen und teils kostenintensiven Schritte, die zur Gewinnung ausländischer Mitarbeiter führen, eine große Hürde. An wen können sich die Betriebe wenden, wenn sie Hilfe benötigen?

Grimm-Benne: Mit dem WelcomeCenter bieten wir den Unternehmen an, sich durch die zahllosen Einzelschritte und Einzelmaßnahmen führen zu lassen. Ich bin überzeugt davon – je besser es uns gelingt, gute und erfolgreiche Zuwanderungs- und Integrationsprozesse zu gestalten, desto mutiger werden nicht nur die Unternehmen im Land, sondern desto stärker wird auch mit Interesse aus dem Ausland auf uns geschaut.

Neben der Anwerbung und Betreuung von Zugewanderten wird es eine Aufgabe sein, deren Bildungsbedarf gerecht zu werden. Dieser kann von allgemeinsprachlicher Kompetenz bis zu Fachlexik reichen, aber auch ganz profane Dinge umfassen, wie die Organisation des eigenen Lebens in einem fremden Land. Welche Möglichkeiten sollen es da geben?

Schulze: Ideal wäre, wenn Sprachkenntnisse bereits im Heimatland erworben würden. In Deutschland angekommen, wäre so eine mehr oder weniger reibungslose Ausbildungs- bzw. Arbeitsaufnahme möglich. Uns allen ist klar, dass das nicht immer gelingen kann. Daher werden im Rahmen der beruflichen Aus- und Weiterbildung Sprachkurse stattfinden müssen, um auch ein berufsbezogenes Sprachniveau zu erreichen. Für die Organisation des eigenen Lebens in Sachsen-Anhalt stehen – Frau Grimm-Benne führte es aus – die WelcomeCenter des Landes oder der Kommunen zur Verfügung.

Sie möchten so genannte Job-Buddies einsetzen. Was ist deren Aufgabe und wer kann ihre Leistung in Anspruch nehmen? Wie können sie Handwerksbetriebe im Besonderen unterstützen?

Grimm-Benne: Das Ankommen und Zurechtfinden in einem neuen Arbeitsumfeld kann schwierig sein, und es kann Zeit kosten, bis jemand gut in einen Betrieb integriert ist. Das gilt umso mehr, als die dringend benötigten Fachkräfte künftig auch aus dem Ausland kommen werden und sich nicht nur im Betrieb sondern in einer gänzlich neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Hier sollen die Job Buddies , deutsch Job-Kumpel,  unterstützen.

Ziel soll es sein, dass sich Unternehmen und Fachkräfte bzw. Unternehmen und Auszubildende möglichst gut auf ihre Arbeit konzentrieren können und durch die Job Buddies  weitestgehend von "betriebsfremden" Integrationshürden entlastet werden.

Dabei sollen die Job Buddies konkret helfen und begleiten: zum Beispiel bei der Wohnungssuche, bei der Suche nach einem Arzt, bei Behördengängen, aber vielleicht auch bei privaten Problemen.

Beschäftigt sein sollen die Job Buddies beispielsweise bei Kammern, Verbänden oder Bildungsträgern, sodass sie möglichst viele Unternehmen, die ausländische Auszubildende oder Fachkräfte beschäftigen, unterstützen können. Die Kosten der Job Buddies sollen voraussichtlich ab 2024 vom Land gefördert werden.

Mit den Job-Buddies wollen wir dem vorbeugen und die kleinen Betriebe von den alltäglichen Problemen und Fragen, die im Kontext von Zuwanderung und Integration auftreten können, entlasten.
Petra Grimme-Benne

Aus meiner Sicht ist dieser Ansatz gerade für Handwerksbetriebe und generell für kleinere Unternehmen interessant. Häufig schlagen sich dort private Probleme, sprachliche oder qualifikatorische Hürden negativ auf die Arbeitsabläufe nieder. Mit den Job-Buddies wollen wir dem vorbeugen und die kleinen Betriebe von den alltäglichen Problemen und Fragen, die im Kontext von Zuwanderung und Integration auftreten können, entlasten.

Wenn Sie einen Blick drei Jahre voraus werfen könnten, welches Resultat erwarten Sie für das Projekt „Willkommen in Sachsen-Anhalt“?

Grimm-Benne: Ich gehe davon aus, dass noch mehr Menschen aus anderen Ländern auf dem Arbeitsmarkt in Sachsen-Anhalt Fuß fassen werden. Allein von 2015 bis 2022 hat sich die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländerinnen und Ausländer verdreifacht! An diese Dynamik wollen wir anknüpfen. Für die Zukunft wünsche ich mir deshalb, dass wir ein neugieriges, weltoffenes Land sind und bleiben, das mit seinen attraktiven Arbeits- und Lebensperspektiven auch im Ausland bekannt und respektiert ist. Dann haben wir gute Chancen, ein Einwanderungsland und attraktives Ziel für Arbeitskräfte aus aller Welt zu werden.

Schulze: Im besten Falle blicken wir im Jahr 2030 zurück auf eine erfolgreiche Imagekampagne, die alle Vorzüge unseres Bundeslandes auf den Punkt gebracht und viele Menschen für unser Land begeistert hat. Sachsen-Anhalt ist 2030 ein attraktives Ziel für Arbeitskräfte aus aller Welt. Es hat sich herumgesprochen: In Sachsen-Anhalt kann ich einen gut bezahlten Job in einer Branche mit Zukunft finden. Gleichzeitig sind die Kosten für Miete, eigenen Grund und Boden, für einen Kitaplatz etc. geringer als andernorts.

Jens Schumann



Petra Grimm-Benne
Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Gleichstellung

Porträt_Minierstin_Petra Grimme-Benne
Sozialministerium Sachsen-Anhalt

Sven Schulze
Minister für Wirtschaft, Tourismus, Landwirtschaft und Forsten

Porträt_Minister_Sven_Schulze
Rayk Weber



WelcomeCenter

www.welcomecenter-sachsen-anhalt.de 
Tel: 391 400 669 15

Hintergrundinformation: 
Das Land Sachsen-Anhalt möchte im Ausland – u.a. den Westbalkanländern und Vietnam – durch Imagekampagnen Auszubildende und Fachkräfte gewinnen. Das Unternehmen BAUER Elektroanlagen hat dies auf eigene Initiative bereits erfolgreich getan. Am Firmenstandort Halle lernen Minh Tran Anh und Hoang Nguyen Huy den Beruf des Elektronikers für Energie- und Gebäudetechnik. Die beiden jungen Männer aus der Nähe von Hanoi sind seit September bei BAUER Elektroanlagen angestellt und beginnen demnächst ihr zweites Lehrjahr.